‘Roundness is the suitable shape for objects that belong nowhere and everywhere’
(The power of the center by Rudolf Arnheim, 1982)
WARUM
Jahrelang habe ich am Computer Designs und Illustrationen erstellt und mich im Laufe der Arbeit immer mehr an den Begrenzungen des Bildschirms gestört. Das Malen auf einer großformatigen Fläche war befriedigend, aber warum dann wieder in einem Rechteck? Weil es praktisch ist und eine Gewöhnung, die sich sogar durch das Fotoobjektiv, das eigentlich ein rundes Bild erzeugt, nicht verändert hat. Wir sind daran gewöhnt, nur einen rechteckigen Ausschnitt der Linse als Bild zu begreifen. Die Repräsentation der sichtbaren Wirklichkeit ist fast ausnahmslos durch einen rechteckigen Rahmen begrenzt und auch in der Malerei ist das Rechteck noch immer die vorherrschende Form. Rückzuschließen auf unsere Augen und die Bildfläche, zu der dieser Rückschluss führt – nicht eckig, grundsätzlich rund –, das war mein Ausgangspunkt. Wenn man sich den Effekt eines solchen gekrümmten Rahmens ansieht – keine Ecken, keine direkte Beziehung zu den rechten Linien des umgebenden Raums –, dann scheint er vor allem auf sich selbst und noch nachdrücklicher auf das eigene Zentrum zu verweisen. Als ich meine ersten runden Gemälde ausstellte, hatte mich das Phänomen überrascht.
‘we tend to read any shape from outside in’ The Sense of Order by Ernst Gombrich, 1979
Sich so konsequent für einen Umriss ohne Ecken zu entscheiden bringt selbstverständlich Konsequenzen mit sich. Keine Ecken, keine „Hotspots“, kein goldener Schnitt, eine andere Erfahrung von Schwerkraft, von „oben“ und „unten“ und kein Format wie bei einem Porträt oder einer Landschaft. Die runde Form ist fordernd und verlangt nach einer Daseinsberechtigung. Handwerk, Konzept und Behandlung des Inhalts müssen hinterfragt werden. Ich konnte nicht länger fortfahren in der mir vertrauten lyrischen, abstrakt expressionistischen Tradition, in der ich malend nach Sinn und Form suchte („content is a glimpse“, Willem de Kooning). Ich brachte die viereckige Fläche in die neue runde Umgebung und experimentierte mit einfachen geometrischen Flächen. Zugleich wuchs meine Faszination für die formale Annäherung an die Wahrnehmung. Während dieses Prozesses stieß ich auf das Manifest Theo van Doesburgs, in welchem er die „Konkrete Kunst“ ausrief (Art Concret, 1930). Mit seiner Auffassung von Kunst als eines umgesetzten Konzepts, einer Konstruktion aus einfachen, kontrollierbaren Flächen und Farben, die nur auf sich selbst verweisen, fühlte ich mich unmittelbar verwandt. So viele Dezennien später eignet sich dieses Manifest auch als ein wertvoller Wegweiser bei meiner Erforschung einer Welt inner- und außerhalb des Rahmens.
Ich begann daraufhin mit großen geometrischen Flächen zu arbeiten, die nicht oder gerade doch mit dem Rahmen in Kontakt kamen oder diesen Rahmen gerade leugnen, so als ob man durch ein Fenster sieht und sich Formen außerhalb des Rahmens fortsetzen. Auch bemerkte ich, dass ein rundes Bild eine Neigung zum „Rollen“ aufweist, vor allem wenn es um Symmetrie geht und eine vom Zentrum ausgehende Komposition. Bei einem Rechteck lassen die vorhandenen Ecken durchaus bekannte kompositorische Möglichkeiten zur Beruhigung des Bildes zu. Meine Aufgabe ist es, ein rundes Gemälde „still“ zu stellen durch den Einsatz von visueller „Schwerkraft“ und Asymmetrie in der Komposition.
Durch das Augenmerk auf die Begrenzungen der Fläche entwickelte ich nach und nach auch ein Interesse an den Rahmen, mit denen traditionelle Gemälde umsäumt werden. Der Rahmen markiert die Schwelle zwischen der Welt inner- und außerhalb des Gemäldes. Warum formen in aller Regel dekorative Elemente und Muster diese Schwelle? Sie beanspruchen, vor allem durch ihren repetitiven Charakter und die eingesetzte Symmetrie, nur kurz unsere Aufmerksamkeit und geben dem, was sie einschließen, Raum. Ich wollte das Potenzial von Mustern und deren Wirkung in einem runden Rahmen erforschen, wodurch die Schwelle faktisch zum Gegenstand der Malerei geworden ist.
’the richer the elements of the frame the more the centre will gain in dignity’, (Raphaël’s Madonna della Sedia) The Sense of Order by Ernst Gombrich 1979
WIE
Ideen, die aus diesen Studien hervorgehen, werden zunächst als Zeichnung umgesetzt. Durch den geometrischen Charakter der Arbeit ist die Übersetzung von der Skizze auf den Bildschirm leicht möglich. So können die Farberkundung und die kompositorischen Variationen sehr zügig vonstatten gehen. Die endgültige Umsetzung des konkreten Bildes muss dann erst noch beginnen. Aber jetzt befinden wir uns doch wieder hinter dem Bildschirm … Die schlussendliche Übertragung auf ein konkretes Bild muss dann erst beginnen.
Die handwerkliche Phase, die Herstellung der gebogenen Keilrahmleisten und das Aufspannen der Leinwand sind wie ein einleitender Tanz vor dem Akt des Malens. Es ist wichtig, die letztendlich gewählte Komposition ohne Zögern vom Bildschirm zu übertragen. Der Akt des Malens mit den stets verlockenden Möglichkeiten zur Abweichung ist suspendiert. Meine Vergangenheit als Grafikdesigner hilft mir, den Entwurf streng und konsequent umzusetzen. Da die Malereien immer komplexer werden, ist es beruhigend, um bei dem größten Teil der Arbeit dem Entwurf folgen zu können. Durch das große Format befinde ich mich buchstäblich im Gemälde und sehe, wie anders als das Bild auf dem Monitor es sich entwickelt. Das Gemälde beginnt, ein eigenes Leben zu führen; Kopieren wird mehr und mehr Interpretieren und aufs Neue Entscheidungen zu treffen, die sich vom Ausgangspunkt ableiten. Aus großem Abstand zu sehen, dass das Bild, teilweise in Details, sich auflöst, um dann von Nahem wahrzunehmen, wie das Gemälde sich öffnet, bereitet mir große Freude.
In letzter Zeit verschwindet die Abhängigkeit vom Bildschirm. Immer öfter wird eine Skizze direkt mit Farbe auf einer großen Leinwand oder im kleinen Format auf Papier ausgeführt, wodurch mehr Impulse und Assoziationen Raum bekommen. Das Abenteuer des Malens ist wieder zurückgekehrt inklusive der Verführungen, vom Weg, dem Ausgangspunkt abzukommen. Aber was am Ende bleibt, ist die formale kompositorische Erforschung des Bildes, der Begrenzung des Raums, der Wirkung von Farben und der Funktion von Mustern in einem gebogenen Rahmen. Während dieses Prozesses muss sich die Form, die auf der zugrunde liegenden Konstruktion basiert, in ein autonomes, die Erfahrung von Schönheit erzeugendes Bild transformieren. Darin liegt seine Daseinsberechtigung. Erst dann darf das Gemälde das Haus verlassen.
Hans Roos, update Frühjahr 2020